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Kindheit zu Zeiten von Corona Teil 1- Schulkinder

  • Autorenbild: Dr. Jutta Weber
    Dr. Jutta Weber
  • 29. Mai 2022
  • 4 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 31. Mai 2022

Am Anfang war die Begeisterung groß: die Schulen wurden geschlossen. Das erinnerte an Hitzefrei, Lehrerausflug, Brückentag- also unverhoffte Freiheit: raus aus dem Schulalltag, rein ins unbeschwerte Leben...

Die Freude währte nur kurz, schnell wurde klar, das von großer Freiheit nicht im geringsten die Rede sein konnte, von unbeschwertem Leben noch viel weniger.


Eltern als Lehrpersonen- da sind Schwierigkeiten vorprogrammiert

Schule sollte weiter stattfinden und zwar zuhause. Mehr oder weniger organisiert und ambitioniert fand Onlineunterricht statt, zudem wurden Aufgaben zugesandt, die erledigt und auf unterschiedliche Plattformen hochgeladen werden mussten. Teilweise war schon das eine technische Herausforderung- abgesehen davon, dass vorausgesetzt wurde, dass jeder zu Hause mehrere Laptops für Schule und Homeoffice zu Verfügung hat.

Vermittlung durch Lehrerinnen und Lehrer gab es nur marginal und punktuell. Die Eltern wurden zu primären Ansprechpartnern, wälzten Mathe- Lehrbücher, saßen vor Online- Erklärvideos, um ihrem Nachwuchs bei den binomischen Formeln, der Photosynthese oder der Lateinübersetzung zu helfen.

Abgesehen davon, dass wir Eltern didaktisch keine Spezialisten sind und auch inhaltlich von vielem nur eine vage Ahnung haben, wurden wir von unseren Kindern deutlich weniger als Lehrkraft akzeptiert. Sie durchschauten nämlich ziemlich schnell, dass wir in diesem Job nicht wirklich firm waren.

Gerade bei Kindern ab der weiterführenden Schule, die sich eigentlich schon in der Loslösung vom Elternhaus befinden, barg die in der Coronazeit notwendige Unterstützung durch die Eltern reichlich Konfliktpotential. Die Eltern rückten ihrem Nachwuchs deutlich näher, als ihm lieb war.

Die Kinder, die generell von den Lerninhalten an sich gepackt werden, die sich selbst gut strukturieren und sich neue Themen autodidaktisch erarbeiten, haben schulinhaltlich wenig vermisst, aber diese Kinder haben in keiner Schule und auch mit kaum einem Lehrer oder einer Lehrerin ein Problem.

Für alle anderen war diese lange Zeit ähnlich, wie sich mit den Eltern in den Sommerferien auf eine Nachprüfung vorzubereiten: wenn es gut lief so lala, aber durchaus auch schrecklich bis grenzenlos ätzend, es gab kein Entkommen- im Wahrsten Sinne des Wortes. man konnte nicht mal wütend die Haustür zuknallen und beim Freund um die Ecke über die Eltern wettern und sobald man das online tun wollte, kam sicher ein Elternteil ins Zimmer geschneit und mahnte an, man solle doch bitte bei seinen Aufgaben bleiben.


Die Pflicht blieb, alle Freiheiten fielen weg

Wenn ich Schüler frage, was sie an der Schule am Liebsten mögen, bekomme ich oft zur Antwort: meine Freunde treffen, Sport und die Pause.

Mit einem Schlag fiel all das weg, wurde komplett ersatzlos gestrichen. Keine Freunde, kein Sport und Pause wenn's hoch kam am Küchentisch mit den Eltern im Home-office.

Denn nicht einmal sturmfrei gab es ja. Ein Elternteil, war in den meisten Fällen ständig zuhause.

Klar, man konnte sich online treffen, chatten oder spielen, selten auch mal telefonieren, aber man konnte sich nicht treffen, nichts unternehmen. Es gab keinen Sportverein, keinen Schlagzeugunterricht, keine Übernachtungen mit Freunden, Geburtstagsfeiern...

Alles, was ein Kinder- oder Jugendleben attraktiv macht, fiel über Monate weg.


Gleichaltrige zu treffen ist dringend notwendig für unsere Sozialisation

Dabei ist Freundinnen und Freunde treffen für Kinder und Jugendliche nicht nur einfach ein Spaß. Es ist ein wichtiger Meilenstein hin zu einem gesellschaftlichen Leben. Sich in Gruppen zu verhalten, sich zu positionieren, Feedback zu bekommen , Kritik auszuhalten, Diskussionen zu führen, Freunde zu gewinnen und zu verlieren sozialisiert uns. Es gibt uns den Mut, rauszugehen und uns der Welt zu stellen: Der neuen Studiengruppe, einem Arbeitskollegium, Partygästen, dem Freundeskreis der Eltern auf einer Gartenparty.

Wir haben unseren Kindern 2 Jahre lang soziales Training vorenthalten. Manche haben das ohne größere Blessuren überstanden, andere aber stecken in dieser Desozialisation fest. Sie haben Angst vor größeren Gruppen, vor den Reaktionen der anderen. Sie kennen ihre Position in der Freundesgruppe nicht mehr. Gleichzeitig fühlen sie sich einsam, leer, wie nicht im eigenen Leben stehend.

Das ist nachvollziehbar. Die Pandemie hat ihnen gezeigt, dass nahezu von einem Tag auf den anderen ihr gesamtes Leben aus den Fugen gehoben werden kann. Das war noch bis vor kurzem undenkbar und hätte allenfalls in einen dystopen Roman gepasst.


Und dann? Dann ging es zurück in die Schule- mit Maske. Stoff nachholen, aber eben auch, sich wieder in die Gruppe integrieren, sich wieder an die Lehrer*innen gewöhnen, an das komplett andere Setting.

Die, die sich vorher schon ungern gemeldet haben, tun das jetzt gar nicht mehr, denn, um sich zu melden, muss man sich in einer Gruppe wenigstens einigermaßen sicher fühlen.

Die, die ungern zur Schule gegangen sind oder ab und an mit einem mulmigen Gefühl, weil sie nicht sozial integriert waren, oder Ängste irgendwelcher Art mit der Schule verbanden, gehen jetzt noch weniger gern.

Was vor Corona da war, hat sich nach Corona verstärkt.


Corona führte bei Kindern und Jugendlichen zu einer großen Verunsicherung, da außerfamiliäre Bezugspunkte fehlten

Hinzu kamen ganz neue Ängste und Verunsicherungen, denn Kinder sind sehr offen für Atmosphären. Sie blickten auf verunsicherte Erwachsene, registrierten, dass sich die Nachrichten nur um das eine Thema drehten und diesbezüglich immer neue düstere Szenarien verbreitet wurden.

Andere Themen, die ihnen wichtig sind und für die sich sich engagiert haben, wie die Flüchtlingskrise und die Klimawandel, schienen in der Bedeutungslosigkeit versunken zu sein.

Auch das sind Gründe für Entfremdungsgefühle. Struktur ging verloren, es zählten andere Werte, Bezugspunkte, wie eben Freundeskreis, Sportverein, Schule, Musikschule, aber auch politisches Engagement, fielen weg. Und zu alldem, war die Zeit auch intrafamiliär kein Zuckerschlecken.

Selbst für eigentlich funktionale Familien war die Kombination aus Onlineunterricht, Homeschooling und fehlendem Ausgleich durch Sport und Freunde für Eltern und Kinder nicht selten eine Zerreißprobe.

Wir Erwachsenen können unmöglich einfach so weitermachen, als hätte es diese chaotischen Jahre für unsere Kinder nicht gegeben.

Die Kinder brauchen zu Hause, aber vor allem auch in der Schule Unterstützung und Verständnis bezogen auf Lerninhalte und Befinden.

Die soziale Integration innerhalb der Klassen muss unterstützt werden.

Es braucht Aufklärung über Kinderängste und Verunsicherungen für Lehrkräfte durch Psycholog*innen oder Sozialpädagoge*innen, damit sie diese in angemessenem Rahmen an ihre Schüler weitergeben können.

Bei mir als Ärztin und Psychotherapeutin fühlt sich jeder einzelne Schüler, jede einzelne Schülerin mit seinen und ihren Ängsten wie eine Ausnahme, ein dysfunktionaler Sonderfall. Das stimmt definitiv nicht. Der Gesprächsbedarf von Eltern, Kindern und Jugendlichen hat in den letzten 2 Jahren deutlich zugenommen.

Wir müssen dringend vermitteln, dass die Reaktionen auf diese große Krise normal sind, Teil des Ganzen. Erstaunlicher wäre doch, wenn es bei den Kindern und Jugendlichen keine Reaktion gäbe.

Immerhin haben neben allem oben genannten, auch sehr viele Kinder überraschend nahe Angehörige verloren oder deren schweren Erkrankungen mitbekommen, haben sich um ihre Großeltern gesorgt.

Wir haben die Kinder den ganzen Tag vor den Computer gesetzt. Jetzt müssen wir ideenreich sein, um sie dort wieder loszueisen.

All das muss in gewissem Maße auch in der Schule Platz haben dürfen.

Wir befinden uns in einem erfahrungsfreien Raum und brauchen Ideen und Kreativität, um diese Situation einigermaßen zufriedenstellend zu meistern.





ree

 
 
 

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