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Kinder in Krisen und Kriegen

  • Autorenbild: Dr. Jutta Weber
    Dr. Jutta Weber
  • 21. Aug.
  • 6 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 25. Aug.

Können wir im Hinblick auf das Kindeswohl und unsere kollektive Verantwortung eine verschärfte Migrationspolitik vertreten?



 

Wir sind von großen Krisen umgeben. Unsere Nachrichten sind voll davon:

Ukraine, Gaza, Afghanistan/ Pakistan beschäftigen uns momentan täglich.

Natürlich leben überall dort auch Kinder. Kinder, denen nach der UN- Konvention über die Rechte des Kindes zusteht, dass ihr Wohl im Vordergrund steht. Jedes Kind hat demnach ein Recht auf Leben. In größtmöglichem Umfang soll sein Überleben gewährleistet sein. Ein Kind soll nicht gegen den Willen der Eltern von diesen getrennt sein, die Meinung eines Kindes soll angemessen berücksichtigt werden, es hat das Recht auf Schutz vor Gewaltanwendung, psychisch, wie physisch.

Familien sollen zusammengeführt werden, Flüchtlingskindern ist ein angemessener Schutz und humanitäre Hilfe bei der Wahrnehmung der Rechte des Abkommens zuzusichern.

Diese Konvention ist meilenweit vom tatsächlichen Lebensalltag von Millionen von Kindern entfernt!

 

Kritisch betrachtet werde ich vielen Kindern und Familien in meinem Blog nicht gerecht.

Das Nachdenken darüber, wie man als Eltern so entspannt wie möglich mit Kindern leben kann, geht davon aus, dass es Voraussetzungen gibt, die überhaupt ein entspanntes Leben ermöglichen.

Damit ist eine große Gruppe von Familien bzw. Eltern exkludiert, die z.B. nicht mit ihren Kindern zusammenleben können oder die sich vorrangig darum sorgen müssen, ihre Kinder satt, ihre Schulsachen zusammen zu bekommen. Das betrifft Deutschland und in deutlich größerem Ausmaß, mit viel existentielleren Themen Eltern, Familien, Kinder in vielen anderen Ländern dieser Welt.

 

Unsere Kinder gehören uns nicht. Sie gehören- wie alle Menschen- sich selbst. Sie sind aber unsere Schutzbefohlenen. Wir sind für ihr körperlich und psychisch gesundes Aufwachsen, ihre Sozialisation, ihre Bildung verantwortlich. Wir lieben und begleiten sie im besten Fall, bis sie selbstbestimmt und autonom leben können.

Aber: nicht alle Kinder haben Eltern, nicht alle Kinder, die Eltern haben, haben gesunden Eltern, nicht alle Kinder können mit ihren Eltern zusammenleben.

Ja, unsere Kinder gehören uns nicht. Sie sind kein Besitz, den man besonders hegt und pflegt. Wir sind ihnen in besondere Weise verbunden, aber unsere Verantwortung endet nicht bei ihnen. Es gibt eine kollektive Verantwortung für das möglichst gesunde, unversehrte Aufwachsen von Kindern allgemein. Sie brauchen alle unseren Schutz, unser Wohlwollen, unser Mitdenken für sie. Wir sind nicht nur unseren Kindern verpflichtet- wir sind allen Kindern verpflichtet. Ihnen gehört die Zukunft. Sie haben ihr Leben vor sich. Sie sollen eine Wahl haben. Dafür sind wir verantwortlich.

Es ist dringend notwendig, sich diesen Sachverhalt zu vergegenwärtigen und unser Handeln, unsere politische und ethische Position, das, wofür wir einstehen, was wir nach außen vertreten, auf diese Fragen hin zu überprüfen: Denken wir die Kinder mit, alle Kinder? Sind wir uns unserer kollektiven Verantwortung bewusst?


 

Alle gegenwärtigen Krisen betreffen Kinder in ihrer Abhängigkeit von versorgenden Erwachsenen besonders stark. Gleichzeitig haben sie keine Macht, Dinge für sich durchzusetzen.

Unsere Verantwortung erklärt sich, neben ethischen Maßstäben, auch aus unserer Vergangenheit und aus unserer Position in dieser globalen Welt.

Ohne dieses Thema weiter ausführen zu wollen: der globale Norden, uns eingeschlossen, ist an vielen Krisen des globalen Südens mitschuldig. Sklaverei, Kolonisation, die teilweise bis in die Gegenwart reicht, wirtschaftliche Expansion, oft auf Kosten anderer Länder, grenzenlose Industrialisierung und gefühlte Überlegenheit mit fehlendem Respekt, sind einige Gründe für heutige Missstände zum Beispiel auf dem afrikanischen Kontinent und in Südamerika.

 

Wenn wir uns den Krieg in Israel und Gaza anschauen, so sind unter den zivilen Opfern unermesslich viele Kinder getötet und noch viel mehr verletzt oder von ihren Eltern getrennt worden.

Den überlebenden Kindern in Gaza fehlt es an allem, was für ein psychisch und körperlich gesundes Aufwachsen notwendig ist. Sie leben in Angst und Schrecken, es fehlt an Nahrung, sauberem Wasser und Medikamenten. Nahezu jede Familie hat geliebte Menschen verloren. Kein Lebensbereich ist unbeschwert.

Der Krieg Russlands gegen die Ukraine dauert seit dreieinhalb Jahren mit unveränderter Grausamkeit an. Das Leben der Kinder dort ist in vielen Regionen unsicher. Seit Beginn des Krieges sind mehr als 600 Kinder ums Leben gekommen, tausende sollen von ihren Eltern getrennt und nach Russland verschleppt worden sein.

 

Was haben wir mit diesen Krisen zu tun? Was ist unser Part? Was sollte uns beunruhigen und zu Diskussionen motivieren? Was ist unser Anteil hier in Deutschland? Was sollten wir bedenken?

Einige Beispiele:

 

Afghanistan/ Pakistan

 

In Afghanistan war die Bundeswehr als Teil internationaler Hilfstruppen 20 Jahre stationiert, bevor sie sich 2021 gemeinsam mit allen internationalen Hilfstruppen zurückzog. Eigentlich sollte der Einsatz zu Beginn eine sechsmonatige Friedensmission sein, die sich jedoch zu einer jahrelangen, kämpferischen Aktion ausdehnte.

Direkt nach Abzug der internationalen Truppen übernahmen die Taliban erneut die Regierung.

Die Familien der Ortskräfte und NGOs (Nicht-Regierungs- Organisationen), die mit den Hilfstruppen zusammengearbeitet hatten, waren und sind nach der Übernahme der Macht durch die Taliban höchst gefährdet. 36.000 gefährdete Menschen aus Afghanistan hat die Bundesregierung 2021 aufgenommen, 20.000 von ihnen Ortskräfte.

Viele übrige, die noch nicht einreisen durften, flüchteten nach Pakistan. Rund 2000 dieser afghanischen Ortskräfte oder Mitarbeitenden der NGOs, darunter viele Kinder, hatten von Deutschland nach eingehender Prüfung die Zusage erhalten, einreisen zu dürfen.  Im Juli 2025 wurde trotz dieser Zusagen das Ortskräfteverfahren ausgesetzt. Inzwischen sind einige Personen, die diese Zusage erhalten hatten, aus Pakistan nach Afghanistan zurückgewiesen worden- mit ungewissem Verbleib und Schicksal.

 

Aussetzen des Familiennachzugs


Auch der Familiennachzug nach Deutschland für subsidiär Schutzbedürftige wurde am 24. Juli 2025 auf unbestimmte Zeit ausgesetzt. Das bedeutet, dass Personen, die in Deutschland sind, weil ihnen in ihrem Heimatland Verfolgung oder ein anderer ernsthafter Schaden droht, nicht länger ihre Eltern, Kinder oder/und Ehepartner:innen nach Deutschland nachholen dürfen.

Betroffene Kinder müssen also ohne ihre Eltern leben oder zumindest ohne einen Elternteil. Der Familiennachzug bezog sich immer schon nur auf die Kernfamilie, also Ehefrau, Ehemann, Kinder oder Eltern und war schon vorher zahlenmäßig begrenzt.

 

Mittelmeer


Das Mittelmeer ist als Fluchtweg vom afrikanischen Kontinent äußerst gefährlich. Tausende Menschen verloren auf diesem Wege ihr Leben, unter ihnen viele Kinder.

Die Seenotrettung erfolgt durch verschiedene NGO (Nicht- Regierungs- Organisationen), die ihr Bestes geben, deren Hilfe aber längst nicht ausreicht.

Die Flucht über das Mittelmeer stellt eine humanitäre Katastrophe dar, welche deutlich mehr Unterstützung aus der EU benötigt. Auch aus politischem und wirtschaftlichem Kalkül wird der Tod vieler Menschen, auch vieler Kinder, billigend in Kauf genommen.

 

 

Verschärfte Migrationspolitik, verschärfte Grenzkontrollen


Dieses zentrale Thema unserer gegenwärtigen Politik, mit dem uns die rechten Parteien mit großer Polemik vor sich hertreiben, ist das genaue Gegenteil kollektiver Verantwortung.

Jedem Kind dieses Staates soll ein Aufwachsen ohne Diskriminierung, unabhängig von Herkunft, Geschlecht, Sprache, Religion und von seiner nationalen, ethnischen oder politischen Herkunft gewährleistet werden. Für viele Menschen in diesem Land sind weiterhin nur weiße Menschen mit bestimmten äußeren Merkmalen wirklich deutsch. Alle anderen müssen von irgendwo anders herkommen und gehören nicht wirklich dazu. Mit dieser Einstellung versperren wir vielen Kindern den Weg in ein zufriedenes Leben. Sie wollen und sollten selbstverständlich dazu gehören, was ihnen verwehrt wird.

Ein ständiges „Nicht noch mehr von denen“ ist eine permanente Abwertung, verhindert es vielen Kindern, sich in Deutschland sicher und zu Hause zu fühlen.

 

Laut statistischem Bundesamt haben seit 1950 20,2 Mio unserer 83,5 Mio Einwohner eine Migrationsgeschichte. Zwischen 1944 und 1950 sind außerdem 12- 18 Millionen Deutsche aus den Ostgebieten geflohen. Jede Familie hat Fluchtgeschichten. Jede Familie hat Traumata aus dieser Zeit. Viele waren Kinder und haben nichts vergessen.


Das Kriegsende liegt 80 Jahre zurück. Den Aufbau aus dem absoluten Chaos hätten wir ohne die enorme Hilfe von außen nie geschafft.

Trotz aller Gräueltaten, trotz dieses verheerenden Krieges, hat man uns eine so umfassende Unterstützung gewährt. Allein der Marshallplan stellte inclusive Sachleistungen 1,4 Milliarden US Dollar zur Verfügung- damals eine unvorstellbar hohe Summe.

Deutschen Kindern wurde eine Zukunft ermöglicht. Die meisten Deutschen waren überzeugte Nationalsozialisten, dennoch gab es ein Interesse von außen, uns beim Wiederaufbau dieses Landes zu helfen.

Wir sind nicht alleine auferstanden wie Phoenix aus der Asche. Uns wurde massiv geholfen.

Bezüglich unseres Wiederaufbaus dürfen die sogenannten „Gastarbeiter“ nicht unerwähnt bleiben. Beginnend 1955 mit Italien, schloss die BRD, Anwerbeabkommen mit verschiedenen Ländern (Griechenland, Türkei, Spanien, Portugal…) ab. Die Arbeitsmigranten sollten eine zeitlang das Wirtschaftswunder unterstützen und dann wieder gehen. 1973, zum Beginn der Energiekrise wurde das Anwerbeverfahren abgeschafft. Viele der zu diesem Zeitpunkt in Deutschland lebenden „Arbeitsmigranten“ holten ihre Familien nach und entschieden sich zu bleiben. Die meisten von ihnen hatten ihren Aufenthalt in Deutschland als vorübergehend eingestuft. Nach Jahren außerhalb des Arbeitsmarktes ihrer Heimatländer, hätten sie dort erneut ganz von vorn beginnen müssen. Obwohl sie sich in Deutschland höchstens geduldet, aber sicher nicht willkommen fühlten, erschien es ihnen daher leichter, ihr Leben hier weiterzuführen.

Etwa 14 Millionen Menschen haben ihre Heimatländer verlassen, weil sie sich eine bessere Zukunft versprachen, aber auch, weil wir sie angeworben hatten und ihre Hilfe brauchten.

  

Wir dürfen nicht vergessen. Wir müssen uns erinnern. Wir haben in unserer Vergangenheit viel Hilfe erhalten. Wir haben als Deutsche selbst eine umfassende Migrationsgeschichte. Unsere Gesellschaft ist seit sehr langer Zeit divers und vielfältig.

Wir müssen uns für das einsetzen, was dem Wohle von Kindern am meisten gerecht wird. Verschärfte Migrationspolitik ist das genaue Gegenteil. Sie ist bezogen auf das Wohl von Kindern nicht vertretbar.

Jedes Kind ist gleich wertvoll.

Wir haben eine kollektive Verantwortung, vor allem den Kindern gegenüber - aufgrund unseres ethischen Kompasses, aber auch aufgrund unserer Vergangenheit.

 

 

 
 
 

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