Entspannte Eltern sein von Anfang an Teil 1
- Dr. Jutta Weber

- 4. Juni 2022
- 8 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 17. Juli 2022
Säuglingszeit- das erste Jahr - Teil 1
Die Geburt eines Kindes ist oft eine anstrengende Grenzerfahrung, aber auch ein wunderbares, beglückendes Erlebnis. Es fühlt sich unendlich gut an, nach den überstandenen Strapazen der Geburt das eigene Kind in den Armen zu halten. Am Geburtstag meiner Kinder hatte ich immer das Gefühl, die Welt müsse stillstehen, um mit mir dieses Wunder wahrzunehmen- auch, weil auf diesen großen einzigartigen Moment nicht direkt ein nächster folgen sollte. Die Zeit sollte stillstehen, damit ich in Ruhe dem Klang dieses so besonderen Ereignisses, dieses ganz neuen, wundervollen Tones nachempfinden zu könnte.
Viele Mütter und Väter empfinden den Tag der Geburt ähnlich.
Dennoch stellen sich kurz darauf und gerade zu Anfang viele Fragen- und neben allen Glücksgefühlen, empfinden viele Eltern auch Unsicherheiten, viele Frauen plötzlich eine für sie schwer nachvollziehbare Traurigkeit, die Männer eine Unsicherheit darüber, welchen Platz sie in der neuen Konstellation innehaben.
Die erste Zeit mit dem Kind ist so durch die unterschiedlichsten und oft gegensätzlichen Gefühle geprägt.
Jedes Kind bringt eine deutliche Veränderung der Lebensumstände mit sich. Der Schritt vom Paar zur Familie erfordert für die jungen Eltern eine umfassende Neuordnung. Es ist schwierig, vorher abzusprechen, was genau der eine vom anderen erwartet, sodass häufig schon am Anfang oft auch gerade dann, Mann oder Frau mit Teilen, der ihnen nach der Geburt des Kindes zugewiesenen Rolle nicht zufrieden sind.
Es ist dabei wichtig, ungute Gefühle auf ihre Ursache hin zu untersuchen und sich von Anfang an Zeit für Klärende Gespräche zu nehmen.
Wohltuend ist auch der Austausch mit erfahrenen Eltern im Freundes- oder Bekanntenkreis, den diese ersten Schwierigkeiten in der Neuordnung der Paarbeziehung zu Beginn des Lebens als Familie ist völlig normal und ergibt sich oft schon allein aus der starken Emotionalität und den hohen, aber auch oft unterschiedlichen Erwartungen der Partner.
Die Entwicklung des Kindes verläuft im ersten Lebensjahr besonders schnell, was von Eltern ein hohes Maß an Flexibilität, Empathie und Intuition erfordert, um sich den sich ändernden Gewohnheiten und Bedürfnisse des Babys anzupassen, bzw. ihnen den angemessenen Raum, bezogen z.B. auf seine emotionale, motorische, sprachliche Entwicklung und seine Ernährungs- und Schlafbedürfnisse zu geben.
Ich bin seit der Geburt meines Kindes sehr niedergeschlagen und antriebslos. Woher kommt diese Traurigkeit, obwohl ich mich doch so auf das Baby gefreut habe?
Für diesen sogenannten „Babyblues“ gibt es viele Gründe:
Medizinisch gesehen ist der Abfall des Hormons Östrogen für das Stimmungstief verantwortlich. Dieses Hormon steigt während der Schwangerschaft deutlich an und führt zu einer gewissen entspannten Gelassenheit. Der plötzliche Abfall in den Tagen nach der Geburt versetzt den Körper in eine Art Entzug dieses Hormons, was je nach Stärke und Geschwindigkeit des Abfalls eine ausgeprägte Melancholie bis hin zur Schwangerschaftsdepression bewirken kann. Erstere ist nicht behandlungsbedürftig und bessert sich zügig- meist schon, sobald man mit dem Kind nach der Klinik zu Hause im Sessel sitzt.
Letztere, also eine Schwangerschaftsdepression, ist ein ernst zunehmendes Krankheitsbild ist, welches meist nicht immer rein hormonell zu erklären ist und tritt häufiger auf, wenn bereits in der Vorgeschichte eine Depression oder eine depressive Reaktion vorgelegen hat.
Es ist sehr wichtig, sich bei Vorliegen dieser tiefen Traurigkeit, ärztliche und/oder psychotherapeutische Hilfe zu holen. Oft ist die tiefe Niedergeschlagenheit verbunden mit dem Gefühl, der neuen Aufgabe als Mutter nicht gewachsen zu sein, das Kind nicht lieben zu können, was zu Schuldgefühlen führt, oft in Kombination mit Schlaflosigkeit einerseits, aber andererseits auch mit dem Wunsch, eigentlich nur noch schlafen zu wollen.
Der Arzt kann in diesem Fall zügig weiterhelfen.
Die Entbindung findet meist im Krankenhaus statt. Auch die ersten Tage nach der Geburt verbringen Mutter und Kind zumeist in der Klinik. Dies ist medizinisch gesehen teilweise sinnvoll, für das seelische Befinden aber nicht ganz einfach: man fühlt sich als Mutter gesund und munter und möchte die erste, sehr emotionale Zeit mit dem Kind viel lieber in Ruhe zu Hause in gemütlicher Umgebung mit der Familie als in einem Krankenhauszimmer verbringen, in dem man sich deplatziert und einsam vorkommt.
9 Monate lang hat man symbiotisch mit dem Baby im eigenen Bauch gelebt. Die Geburt stellt die erste und drastischste Loslösung dar und wird so unterbewusst als schmerzhaft empfunden.
Eine Geburt ist eine Grenzerfahrung. Für die meisten Frauen ist es das erste Mal, dass sie wirklich starke Schmerzen empfinden. Man wird an den Rand der Erschöpfung gebracht, oft mit dem Gefühl nicht durchhalten zu können. Der Schmerz ruft Ängste, bei einigen Frauen und einigen Geburtsverläufen Todesängste hervor. Diese Erfahrung muss in den Tagen nach der Geburt erst einmal verarbeitet werden. Selten liegen Leben und Tod so spürbar nebeneinander, was sich bei manchen Frauen in dem Nebeneinander von Freude über die Geburt und Niedergeschlagenheit in Bezug auf die oft traumatische Grenzerfahrung wiederspiegelt.
Dass die Geburt für die Mutter oft als Trauma erlebt wird, findet in unserem kulturellen Umfeld wenig Raum. Eine Geburt soll als Geschenk, als Bereicherung, als etwas durchweg Positives empfunden werden. All das hat seine Berechtigung, aber daneben haben eben auch die Ängste und die grenzenlose Erschöpfung vieler Mütter ihren Platz.
Viele Frauen empfinden in den ersten nach der Geburt Tagen ähnlich. Sie sind unergründlich traurig und werfen sich dies vor, weil sie eigentlich dankbar und glücklich sein wollen.
Meistens bessert sich das eigene Befinden schon, wenn man endlich mit dem Baby nach Hause kann und sich in der vertrauten Umgebung befindet. Es ist ein wunderbares Gefühl, endlich mit dem Baby auf dem Arm zu Hause auf dem Sofa zu sitzen.
Wichtig ist, die eigenen Gefühle anzunehmen und sie sich zuzugestehen. Gründe dafür gibt es genug. Reden Sie mit anderen über ihre Gefühle und lassen Sie sich, falls möglich in den Alltagsdingen unterstützen, sodass Sie viel entspannte Zeit mit dem Baby haben. Sie haben etwas Großes, Anstrengendes geleistet und sollten jetzt erst einmal keine allzu großen Erwartungen an sich stellen. Erholen sie sich. Lassen Sie vieles liegen und machen Sie es sich mit Mann und Baby gemütlich. Schauen Sie, was ihnen jetzt gut tut. Wollen Sie erst einmal nur Zeit zu dritt haben, dann setzen sie es um. Sagen Sie Freunden, dass Sie die ersten Tage für sich brauchen.
Manchmal fühlt man sich mit guten Freunden und unterstützenden Verwandten wohler. Bitten Sie sie zu sich. Vielleicht können sie auch eine Mahlzeit mitbringen. Nahe Freunde sind meistens froh, in der ersten Zeit etwas tun und natürlich das Baby sehen zu können.
Für uns hat schon während der Schwangerschaft festgestanden, dass unser Baby gestillt werden soll. Jetzt bin ich völlig fertig, weil es nicht zu funktionieren scheint
Am Wichtigsten ist es, die Ruhe zu bewahren.
Weiterhin gilt, dass Stillen die beste Möglichkeit darstellt, ein Kind zu ernähren, dennoch gibt es viele Gründe, die das Stillen schwierig oder für die Mutter nicht möglich machen.
Für viele Mütter besteht eine große Schwierigkeit darin, dass sie beim Stillen keinem Überblick haben, wieviel das Kind tatsächlich getrunken hat, was sie als Verunsicherung empfinden. Hierbei gilt, dass in den allermeisten Fällen genügend Milch zur Verfügung steht, da durch das Saugen des Kindes die Ausschüttung eines Hormons gefördert wird, das zentral, also im Hirn, zu einer entsprechenden Milchproduktion führt. Je mehr und je häufiger das Kind also saugt, umso mehr Milch wird produziert.
In den ersten Wochen ist der Milcheinschuss häufig nach Beginn des Stillens spürbar.
Selten wird dieser Regelkreislauf durch körperliche Faktoren gestört, z.B., wenn eine Entzündung im Bereich der Milchgänge oder der Brustwarze vorliegt. Diese sind behandlungsbedürftig und eine dringende Indikation dafür, einen Arzt aufzusuchen.
Bei manchen Frauen liegen auch anatomische Gegebenheiten, die das Stillen erschweren können, wie z.B. Hohl- oder sehr große Brustwarzen.
In diesen Fällen kann mit Stillhütchen gestillt werden.
Hebammen, Kinderärzte und Gynäkologen beraten gerne, denn, es lohnt sich aus den verschiedensten Gründen, das Stillen zu versuchen. Klappt es, ist es praktisch, vermittelt Nähe, ist hygienisch und führt nie

zur Überfütterung, funktioniert es jedoch nicht, ist das kein Weltuntergang!
Sobald das Füttern an der Brust für die Mutter- und damit auch für das Kind- aus welchen Gründen auch immer- einen allzu großen Stress darstellt, oder eine Mutter nicht stillen will, mit dem Stillen also unglücklich ist, ist die Ernährung mit der Flasche eine sinnvolle Alternative.
Bei Schwierigkeiten zu Beginn und bei bestehendem Stillwunsch ist es sicher sinnvoll, sich beraten oder von einer Hebamme oder einer erfahrenen Freundin helfen zu lassen. Oft sind anfänglich bestehende Schwierigkeiten nur vorübergehend und lassen sich gut ausräumen. Falls sich die Probleme aber nicht lösen lassen, liegt, bei allen sicher auch sinnvollen Kampagnen für das Stillen, die Entscheidung letztendlich bei der Mutter, die deshalb keine Schuldgefühle zu haben braucht.
Mit den angebotenen Säuglings-, vor allem den Pre- Nahrungen liegen, rein ernährungstechnisch, gute Alternativen zur Muttermilch vor.
Mit nahem Füttern auf dem Arm lässt sich auch das Flasche trinken in geborgener Atmosphäre durchführen.
Verwöhnen wir das Baby, wenn wir es oft auf dem Arm haben?
Schlichtweg: Nein.
Nach den Monaten im Bauch ist es für den Säugling eine enorme Umstellung, plötzlich allein in einem Bett zu liegen.
Im Mutterleib war es eng umschlossen. Manche Neugeborenen sind daher deutlich entspannter, wenn sie auf dem Arm gehalten werden.
Dennoch schlafen manche Babys auch ganz zu Anfang oft gern schon ganz allein. Wenn ein Säugling aber Nähe möchte und in seiner Wiege liegend unruhig wird, ist es komplett natürlich, das Baby zu tragen. Es ist schon aus dem Mutterleib an den Herzschlag der Mutter, früh nach der Geburt dann auch schon an den Geruch der Eltern gewöhnt und beruhigt sich daher schnell in deren Nähe. Wenn man sich auf seine Intuition verlässt, fällt es nicht allzu schwer, die Bedürfnisse des Babys zu erkennen. Diese sind zu Beginn überschaubar: Schlafen bzw. Ruhe, Nähe bzw. Kontakt (auch Blickkontakt) und Trinken.
Menschenkinder kommen komplett abhängig zur Welt. Sie können nur überleben, wenn ihre Bedürfnisse von den versorgenden Eltern erkannt und gestillt werden. Sie können sich nur durch Schreien bemerkbar machen und empfinden existentielle Ängste, wenn darauf niemand reagiert. Sie spüren instinktiv, dass sie ohne die Reaktion der Eltern nicht lebensfähig sind.
Wichtig ist es daher, auf die Bedürfnisse des Säuglings einzugehen. Eltern wissen intuitiv, was ihre Kinder brauchen, wenn sie diesem offen und zugewandt begegnen können.
Wie im Einzelnen das Zusammenleben mit dem Säugling abläuft ist individuell und nicht zuletzt auch von den genauso wichtigen Bedürfnissen und Gewohnheiten der Eltern abhängig.
Wenn Eltern zum Beispiel überhaupt nicht schlafen können, wenn das Kind in bzw. im Anstellbett direkt neben ihrem Bett schläft, ist es nicht angebracht , das Kind dennoch dort schlafen zu lassen, da es für ein funktionierendes, harmonisches Familienleben auch entscheidend ist, dass die Eltern ausgeruht sind. Jede Familie sollte, was den Umgang mit dem Säugling angeht, ganz individuell so viel Nähe zulassen wie es dieser verlangt und es die Möglichkeiten der Eltern erlauben.
Können wir das Baby am Abend zu Freunden mitnehmen oder muss es in seinem Bett schlafen?
In den ersten Lebenswochen ist das Baby zumeist überall glücklich und zufrieden, wo seine Eltern glücklich und zufrieden sind. Es schläft auch bei Geräuschen sehr gut ein, oft sogar besser, als in absoluter Ruhe, denn auch im Bauch war es laut. Es hörte permanent Herz- und Darmgeräusche der Mutter und Stimmen von außen. Mitten unter einem Kreis geselliger Erwachsener die Reden und lachen wird sich ein Säugling daher sehr wohlfühlen und meist tief und fest schlafen können.
Im Alter von 3 bis 4 Monaten ändert sich dies häufig. Das Baby hat einen Tag- Nacht-Rhythmus entwickelt und sich an die Stille der Nacht gewöhnt. Ab dann schläft es meist besser, wenn es seine Ruhe hat. Auch dann spricht nichts dagegen, es zu Freunden mitzunehmen, zum Schlafen braucht es dann jedoch ein stilles Plätzchen.
Den Zeitpunkt, ab wann ein Kind am besten im eigenen Bett schläft, gibt das Kind meist selbst vor. Viele Kinder schlafen irgendwann nur noch im eigenen Bett oder zumindest in vertrauter Umgebung gut ein. Ab dann ist es für alle angenehmer, wenn das Kind mit einem Babysitter, am Anfang eignen sich hier vor allem dem Baby vertraute Personen, wie Großeltern oder enge Freunde, zu Hause bleibt, wenn die Eltern verabredet sind.
Zufriedene Eltern, vor allem auch eine gute Paarbeziehung, sind für eine glückliche Familie sehr, sehr wichtig. Kinder profitieren sehr davon, wenn es ihren Eltern gut geht. Es finden sich meist Wege, das Bedürfnis nach abendlichen Aktivitäten umzusetzen.



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