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Geschwister- was sie ausmacht, was sie stärkt

  • Autorenbild: Dr. Jutta Weber
    Dr. Jutta Weber
  • 3. Sept. 2023
  • 5 Min. Lesezeit


Geschwisterkonstellationen sind besonders und prägen uns nachhaltig.

Kein Mensch kennt uns, abgesehen von den Eltern, so lange, so intensiv und in allen Lebenslagen, wie Bruder oder Schwester.

Geschwisterbeziehungen sind Optionen- auf Unterstützung, auf Austausch, auf Beziehungserfahrungen. Diese reichen von der kritischen Auseinandersetzung oder dem handfesten Streit bis hin zum Zuhören oder Trösten bei Trauer, oder Angst.


Man erfährt, dass man einen und denselben Menschen seltsam und grenzenlos nervtötend und dann wieder interessant und liebenswert finden kann. Das Austarieren von Nähe und Distanz, Anpassung und Autonomie, das Aushandeln von Kompromissen sind für andere Beziehungen, die wir im Leben eingehen, ein vielschichtiges Training. Dieses ist insofern risikoarm, als dass ein Bruder oder eine Schwester bleiben- selbst, wenn eine Situation eskaliert ist oder man die gegenseitigen Grenzen überschreitet. Die Wahrscheinlichkeit des Verlustes, des sich Trennens, ist unter Geschwistern in der Kindheit sehr gering.

Wenn ich an die Kindheit mit meinem Bruder denke, war es vor allem das angenehme Gefühl, dass da immer jemand war, der, bezogen auf alle anderen Menschen, auf meiner Seite stand- auch dann, wenn es auch auf unserer Seite nicht immer harmonisch ablief.

Dennoch habe ich uns unumstößlich als Team empfunden. Das war so klar, dass man sich nicht darum bemühen musste, vom anderen geliebt zu werden oder besonders nett zu sein. Man war motzig, wenn man einen schlechten Tag hatte oder sehr direkt, wenn man sich durch die Nähe des anderen gestört fühlte. War man zu weit gegangen mit was auch immer, lernte man nach und nach daraus. Man war sich nie lange böse- das wäre im Alltag viel zu lästig gewesen.

Eltern blicken, sobald sie mehrere Kinder haben, auf das einzelne Kind oft in Relation zu seinen Geschwistern: Ruhiger als der Bruder, großzügiger als die Schwester, hat eher gesprochen, ist später gelaufen, hat besser gegessen…

Auch Geschwister leben im Vergleich. Sie messen und positionieren sich. Sie sind sich Ansporn und Widersacher, Vorbild und Abschreckung, Freund und Feind.

Geschwister üben sich in Attributen und Kriterien, die in der Struktur einer Gesellschaft eine Rolle spielen. Durchsetzungsvermögen, Anerkennung, Macht, Beliebtheit, Wichtigkeit der eigenen Person für das Umfeld, werden in der Familienkonstellation vor allem im Vergleich mit Geschwistern erprobt.


Jedes Paar mit Kind ist erst einmal ein Einzelkinderelternpaar.

Ein Paar hat sich zu einem Kind entschieden und gelangt durch dieses in eine völlig andere Beziehungskonstellation. Das Neugeborene ist zu Beginn in allem von seinen Eltern abhängig und erfordert 24 Stunden am Tag einen verantwortungsvollen Umgang. Man hat also mit dem Einzelkind alle Hände voll zu tun.

Diese ersten Jahre als Familie sind wertvoll. Vieles ist neu, muss anders integriert und sortiert werden.

Im optimalen Fall bilden Vater Mutter und Kind nach einer gewissen Zeit ein gleichschenkeliges Beziehungsdreieck, dem Kind sind dabei beide Elternteile in etwa gleich wichtig und auch Mutter und Vater haben trotz des Kindes eine nahe, auch vom Kind unabhängige, Beziehung.

Spielpartner werden im Kleinkindalter hinzugezogen, um auch eine Beziehung zu Kindern zu gewährleisten.

26% aller Kinder bleiben Einzelkinder. Ihnen eilt noch immer ein besonderer Ruf voraus: Sie sollen sich schlechter anpassen können, altklug sein, anspruchsvoller, egoistischer. Nichts von all dem ist statistisch belegt.

Für ein erstes Kind, ein Einzelkind, stehen die Eltern als Bezug und als Spielpartner mehr im Fokus. Das Kind lernt mehr von Erwachsenen. Die Anzahl problematischer Lebensverläufe und Krisen ist bei diesen keinesfalls höher. In Stresssituationen, familiären Belastungen wie zum Beispiel Trennung der Eltern oder auch nur Streitigkeiten, ist ein Einzelkind jedoch einsamer mit seinen Ängsten und Sorgen und kann diese nicht mit Geschwistern teilen.


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Geschwister werden von ersten Kindern oft aktiv herbeigewünscht. Wenn sie dann aber da sind, ist der Anfang nicht immer ganz einfach. Für das ältere Kind ist das neu ankommende erst einmal ein völlig fremder Mensch, der von den Eltern vom einen Tag auf den anderen ein sehr hohes Maß an Aufmerksamkeit, Zeit und Liebe erhält. Da kann einem schon mulmig zumute sein. Ist den beruhigenden Worten der Eltern, noch immer genauso geliebt zu werden, wie vorher, wirklich zu trauen?

Das ältere Kind sollte schon in der Schwangerschaft vorbereitet und in vieles miteinbezogen werden. Sobald das Geschwisterkind da ist, braucht es auch Zeit mit den Eltern ohne das Baby. Man sollte ihm seine Position in der neuen Konstellation schmackhaft machen und es oft im Umgang mit dem Baby positiv verstärken. Dies mindert die Ängste, bei den Eltern keinen sicheren Platz mehr zu haben oder die Eltern ans Baby zu verlieren.

Dennoch ist Eifersucht ein natürliches Gefühl, welches dazu gehört und vom Kind ausgedrückt werden darf. Es zeigt nur, dass das ältere Kind um die Liebe seiner Eltern bangt.

Mit Geduld und Zuwendung beweisen Eltern ihren Ältesten, dass diese Sorge unbegründet ist.

Das ältere Kind wegen des neuen Geschwisterchens zu bedauern ist jedoch übertrieben. Letztendlich profitieren Kinder von Geschwistern und spätestens, wenn das Baby jedes Mal laut auflacht, wenn die größere Schwester den Raum betritt, ist der Bann gebrochen.

Es ist also richtig und wichtig, dem älteren Kind zuzutrauen, sich an das Baby zu gewöhnen, ohne dass es dafür alles bekommen muss, was der Säugling auch hat.

Dadurch würde das Kind viel der von ihm bereits erworbenen Selbstständigkeit und damit Unabhängigkeit verlieren. Wird z.B. ein 3- jähriges Kind, welches sich komplett vom Tisch ernährt, wieder mit dem Baby gestillt, bringt man dieses in eine Abhängigkeit zur Mutter, die es bereits hinter sich gelassen hatte.

Es ist wichtig, die Autonomiebestrebungen von Kindern zu unterstützen, auch wenn sie in eifersüchtigen Momenten Dinge einfordern, die sie bereits nicht mehr brauchten.

Wir wissen, dass Kinder ein gewisses Maß an Unabhängigkeit brauchen, um sich im Kindergarten oder bei der Tagesmutter auch ohne die Mutter eine Zeit lang sicher zu fühlen.


Eltern sind oft erstaunt wie unterschiedlich ihre Kinder sich entwickeln. Kinder einer Familie haben oft ganz verschiedene Persönlichkeiten und Vorlieben. Das ist nicht verwunderlich. Geschwister suchen sich innerhalb einen Familie Nischen, die noch nicht besetzt sind.

Wenn es ein ruhiges, eher verkopftes Kind schon gibt, ist ein Bruder oft eher lebendig und spontan. Unter anderem geht es dabei auch darum, das Interesse und die Aufmerksamkeit der Eltern auf sich zu ziehen. Das geht besser mit etwas überraschend Neuem.


Was ist für uns als Eltern im Bezug auf unsere Kinder und deren Beziehung untereinander wichtig?

- Geschwisterbeziehungen sind, wie gesagt, Optionen, aber sie sollten im Alltag nicht verpflichtend sein. Das heißt, dass die älteren Geschwister nicht automatisch Babysitter sind oder Verantwortung übernehmen müssen.

Ebenso wenig müssen Bruder oder Schwester mitspielen dürfen, wenn ein Kind eine Spielfreundin zu Besuch hat.

- Streits zwischen Geschwistern sind von außen schwer zu beurteilen. Man kann in Ausnahmen versuchen, zu vermitteln, aber man sollte vermeiden zu beurteilen. Das geht oft daneben., bzw. wird der Situation selten gerecht.

- Geschwister sollten so oft es geht in ein Boot gesetzt werden. Das bedeutete, dass man alles, was spaltet, vermeiden sollte. Dazu gehören Vergleiche (dein Bruder war immer so gut in Mathe, deine Schwester ist viel hilfsbereiter…), dauerhafte Zuschreibungen (du bist das unsportliche Kind, das unordentliche oder das nörgelige etc.), Partei ergreifen (lass doch mal die Kleine in Ruhe, warum musst du immer Streit anfangen). Geschwister, die stets die Eltern auf ihrer Seite haben, machen wütend. Auf Dauer wird der Kontakt mit ihnen gemieden, da sie jederzeit die Macht haben, die Eltern hinter sich zu positionieren.

- Es ist bereichernd, die Unterschiede von Geschwistern zu erkennen und wertzuschätzen, bzw. jedes einzelne Kind als die eigenständige Persönlichkeit wahrzunehmen, die es ist.


Es ist hilfreich, die Geschwister eine eigene Beziehungsdynamik entwickeln zu lassen und ihnen Räume zu schaffen (auch zeitlich), in denen sie sich ungehindert ausprobieren dürfen.

Das führt sehr oft zu lebenslangen, unterstützenden Beziehungen und zu Erfahrungen, die in vielen Lebensbereichen von großem Vorteil sein können.

 
 
 

2 Kommentare


annagoldbeck83
14. Okt. 2023

Toll geschrieben, Frau Dr. Weber, danke

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offeneschublade
05. Sept. 2023

Das sind so wichtige Gedanken! Vielen Dank, die lasse ich wirken :)

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Beitrag: Blog2 Post

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