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Kinder und "neue" Medien

  • Autorenbild: Dr. Jutta Weber
    Dr. Jutta Weber
  • 26. Juni 2022
  • 7 Min. Lesezeit


Das Thema neue Medien hat eine große Brisanz. Diffuses Unwohlsein mischt sich mit konkretem Wissen darüber, dass die Nutzung von Handys, Computern, Computerspielen deutlich zu weit in all unsere Lebensbereiche eingedrungen ist. Diesem Prozess fühlen wir uns teilweise machtlos ausgeliefert.

Wir wollen nicht, dass unsere Kinder zu früh oder/und zu intensiv, zu unkontrolliert mit den neuen Medien konfrontiert werden oder sich konfrontieren. Dennoch sollen sie in ihrem Leben den Anforderungen unser Zeit bzgl. Digitalisierung kompetent gewachsen sein.


Dies ist der Versuch, etwas Aufklärung in dieses Dickicht zu bringen und damit zu erreichen, dass Sie sich entspannter und sorgenfreier zu diesem Thema positionieren können- parental relaxation!

Vorschulkinder sind wissbegierig, neugierig, beeindruckbar, interessiert. Sie lernen nach Vorbild und über soziale Interaktionen. Nichts kann daher aufmerksame Bezugspersonen, die die Bedürfnisse eines Kleinkindes wahrnehmen und durch ihr eigenes Verhalten das Kind zur Nachahmung ermuntern, ersetzen.

Ab etwa 3 Jahren beginnt zusätzlich das Spiel mit und die Bezogenheit auf Gleichaltrige.

Kinder lieben es, etwas zu bewirken, fühlen sich zu Dingen hingezogen, die sich bewegen, mögen Farben und Lichter, was für sie Computer von Anfang an attraktiv mach.

Ein kleiner Exkurs zu Fakten und Statistik

Seit ca. 25 Jahren nutzen wir in Deutschland Handys und haben damit das Kommunikationsmedium Telefon zu einem mobilen Medium gemacht, was bedeutet, dass wir jederzeit und nahezu überall andere Personen erreichen können und erreichbar sind.

Diesem Handy wurden in den letzten Jahren mehr und mehr Funktionen hinzugefügt. Es stellt inzwischen neben einem Telefon einen vollwertigen Computer dar, der nahezu überall genutzt werden kann.

Nun ein wenig Statistik einer ARD/ZDF- Onlinestudie und des statistischen Bundesamtes aus dem Jahr 2021:

94% aller Deutschen nutzen das Internet (66,6 Mio),

92% aller 14- 29- jährigen sind Mitglied in einer oder mehr Onlinekommunities, wie z.B. Facebook oder Instagram

61% der 10- 15- jährigen waren 2020 in sozialen Netzwerken aktiv

47% aller Computernutzer schauen parallel dazu Fernsehen

39% der Jugendlichen verbringt die Freizeit am Liebsten im Internet

Soziale Netzwerke stehen an 2. Stelle der Lieblingsbeschäftigungen Jugendlicher nach Treffen mit Freunden (68%) und vor Sport (38%).

Die neuen Medien sind somit ein sehr präsenter Teil unseres Alltagslebens geworden, der nahezu alle Lebensbereiche tangiert.


Unsere Sorge ist, dass unsere Kinder zu früh zu viel Kontakt mit Computern, insbesondere Computerspielen haben könnten und dies ihre Entwicklung belastet bzw. negativ beeinflusst

Um sich so objektiv wie möglich diesem Thema anzunähern, muss man die direkten Auswirkungen des Medienkonsums von den indirekten unterscheiden.


Als erstes wollen wir uns den direkten Auswirkungen zuwenden.

Säuglinge, eigentlich Kinder überhaupt sind zu einer enorm schnellen mentalen Entwicklung fähig. Schon mit 10 Monaten können sie mehrere Sprachen voneinander unterscheiden, bereits viel früher, zusammengehörige Dinge von nicht zusammengehörigen differenzieren.

Zeigt man einem 6 Monate alten Kind zum Beispiel eine Reihe von Katzenbildern und dann das Bild eines Hundes, wird es das deutlich länger betrachten.

Bindet man bei einem 6 Monate alten Säugling ein Band an sein rechtes Bein, mit dem er ein Mobile, evtl. auch ein Glöckchen bewegen kann, wird er nach einiger Zeit ganz gezielt genau dieses Bein bewegen, um so die gewünschte Aktion zu erzielen.

Säuglinge und kleine Kinder erkennen demnach schon früh wechselnde Bilder, wechselnde Eindrücke und lieben es, selbst etwas zu bewegen.

Wenn man es zuließe, würden Computerspiele für Kleinkinder genau diesen 2 Interessen dieser Altersstufe gerecht werden: es gibt bunte, wechselnde Bilder und das Kind kann etwas bewirken. Zu bedenken ist aber Folgendes:

Die Fähigkeit, sich auf eine Sache zu konzentrieren, auch wenn andere Reize hinzukommen, also bestimmte Reize auszublenden, ist bei Säuglingen und Kleinkindern noch schwach ausgeprägt und nimmt bis zum Erwachsenenalter kontinuierlich zu.



Zu viele Reize können die Entwicklung der Aufmerksamkeitsteuerung stören

Kleinkinder, v.a. bis zum Alter von 3- 4 Jahren, sind mit den vielen auf sie einströmenden Reizen und den raschen, vielseitigen Bewegungen überfordert. Studien haben gezeigt, dass Fernsehen, vor allem in erhöhtem Maße (>1Std. tägl.) bei Kleinkindern, zu einer verzögerten Sprachentwicklung, Unruhe und Konzentrationsstörungen führen kann. Bezogen auf Computer geht man von ähnlichen Effekten aus. Schnelle Schnitte und schrille Farben können die normale Entwicklung der Aufmerksamkeitssteuerung erschweren. Es gibt ein ständiges Hin und Her von Impulsen.

Ängste können hinzukommen, wenn das Kind Spiele spielt, mit denen es überfordert ist.

Es gibt Faustregeln zum Umgang mit Computern, die auch sehr vom Kind selbst und von dem Medienverhalten der Eltern abhängig sind, aber mindestens bis zum Alter von 3-4 Jahren sollte ein Kind ohne Tätigkeiten am Computer aufwachsen.


Wesentliche indirekte Auswirkungen umfangreicher Zeit am Computer

Grund dafür sind nicht nur die oben angesprochenen direkten, sondern auch die indirekten Auswirkungen, die das Spielen von Computern auf den Alltag unserer Kinder haben kann:

Medien verringern die Zeit, die Kinder mit ihren Bezugspersonen verbringen. Säuglinge und Kleinkinder sind in hohem Maße auf einen engen Kontakt zu ihren Bezugspersonen angewiesen. Sie lernen, in dem sie nachahmen, durch die Art der Reaktionen auf ihre Aktionen und durch die Art des Umganges der Familienmitglieder untereinander. Gerne empfinden sie sich als einen wichtigen und angenommenen Teil des Familiengefüges.


Erlebtes wird oft im freien Spiel verarbeitet

Wichtige Kompetenzen werden im Spiel erlangt, z.B. hat zielgerichtetes Spiel eine sehr hohe Bedeutung, um impulsives Verhalten so unter Kontrolle zu bringen, dass es das Erreichen eines Ziels nicht stört. Wenn sich ein Kind überlegt, die Babypuppe zum Arzt zu bringen, muss es das Baby dafür anziehen, in den Puppenwagen legen, zum Arzt schieben und dem Arzt vorstellen. Es lernt, sich nicht von anderen Spielzeugen von diesem Vorhaben ablenken zu lassen und dieses Ziel durch eventuelle Widerstände durchzusetzen, z.B. gegen den Bruder der den Puppenwagen gerade jetzt auch haben will oder gegen die Mutter die zum Essen ruft. Diese Kompetenz, nämlich ein Ziel zu haben und es trotz Ablenkungen weiter zu verfolgen, ist eine der Grundfähigkeiten für ein zufriedenes Erwachsenenleben.

Spiel hat viele, viele solcher Lerneffekte und ist daher für die gesunde Entwicklung eines Kindes unabdingbar, was auch ein Grund dafür ist, dass Kinder in fast allen Lebenssituationen spielen.

Interaktives Spiel, also das Spiel mit anderen, ist wichtig zum Erlangen sozialer Kompetenzen. Das Kind findet heraus, welcher

Umgang mit anderen angemessen ist, wie es selbst auf andere wirkt, was Freundschaft bedeutet etc.

Im Spiel lotet das Kind seine Grenzen aus. Es findet heraus, was harmlos und was gefährlich ist.


Computerspiele verzerren die reale Spielerfahrung

Das Spiel am Computer ist abstrakt. Es ist ein so- als ob Spiel, die Figuren können nicht angefasst, nur indirekt über einen Knopf bewegt werden, es gibt zwar einen Handlungsstrang, aber das Kind hat nur eine definierte Möglichkeit zu agieren, das mehrdimensionale reale Spiel verliert an Dimensionen, es ist durch und durch irreal ohne dem Geist und dem Ideenreichtum des Kindes, entsprungen zu sein. Grenzen scheint es nicht zu geben. Man hat immer einen neuen Versuch.

Das Kind hat das Spiel nicht selbst in der Hand. Es wird mit Bildern überhäuft und kann sich erst im Nachhinein entziehen. Es ist deutlich weniger selbstbestimmt, als im realen Spiel und kann seine Kreativität weniger ausleben, da die Spielabläufe größtenteils vorgegeben sind.

Kinder können bis zum Alter von ca. 7 Jahren nicht vollständig zwischen Realität und Fiktion unterscheiden. Das bedeutet, dass sie zu den Inhalten von Videospielen bzw. Filmen nicht in eine schützende Distanz treten können. Für sie kann alles, was auf dem Bildschirm passiert, auch im wirklichen Leben eintreten.

Schon diese wenigen Beispiele machen deutlich, dass das Kind, wenn es mit Medieninhalten allein gelassen wird, leicht zu überfordern ist.


Gesichterlesen muss erlernt werden

Auf einen Effekt der übermäßigen Präsenz digitaler Medien in unserem Alltag möchte ich noch eingehen:

Der südkoreanische Philosoph Byung Chul Hang beschreibt, dass es in seiner Heimat Südkorea, wenn man unterwegs ist, kaum noch möglich ist, mit anderen Menschen Blickkontakt aufzunehmen. Die Menschen dort in der U- Bahn oder in Warteschlangen, auf Parkbänken etc. schlafen entweder, da sie im Schnitt mindestens 12 Stunden täglich arbeiten oder sie schauen auf ihre Handys. Man habe so kaum noch einen Blick in die Augen eines anderen.

Eine amerikanische Studie hat gezeigt, dass die Empathie, also das sich Einfühlen- Können in die Gefühle des Gegenübers, mit zunehmendem Medienkonsum abnimmt, was sich schon allein daher erklärt, dass Empathie Übung erfordert. Dies macht es für Kinder besonders heikel. Lernen sie nicht, welcher Blick, welche Mimik, zu welcher Emotion des Gegenübers passt, können sie nicht empathisch sein.

In den letzten zwei Jahren war für Kinder das Lesen von und aus Gesichtern durch das Tragen der Gesichtsmasken zudem deutlich erschwert.

Es sind also sowohl die direkten Auswirkungen der „neuen“ Medien, als auch die indirekten, die einen überdachten Umgang mit ihnen notwendig machen.


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Der geregelte Umgang mit dem Computer ist eine wichtige Kompetenz

Langfristiges Ziel bzgl. der Nutzung digitaler Medien sollte ein sinnvoller und kritischer Umgang unserer Kinder mit diesen Medien sein.

Strikte Verbote sind dabei nicht hilfreich. Es sollten vielmehr mit Hilfe der Eltern einige Grundlagen vermittelt werden. Die Eltern fungieren als Begleitpersonen, die klare Vereinbarungen und Regeln aufstellen und auf Gefahren hinweisen.

Wenn ein Kind von sich aus Interesse am Computer zeigt, spricht ab einem Alter von 3-4 Jahren nichts dagegen, mit ihm, also im Beisein und unter Anleitung der Eltern, ausgesuchte Lern- und Spielprogramme zu spielen. Die Dauer sollte in diesem Alter 10- 20 Minuten nicht überschreiten. Ein Elternteil sollte als Ansprechpartner während der Zeit neben dem Kind sitzen.

Mit 5-6 Jahren kann eine erst gemeinsame Interneterfahrung gemacht werden. Nicht länger als 20- 30 Minuten und mit der ganz konkreten Abmachung, dass diese Ausflüge nur gemeinsam stattfinden.

So wird ein Weg beschritten, in dem die Medien nicht durch völliges Ausklammern in ihrem Wert für das Kind überhöht werden, noch eine unkontrollierte Nutzung stattfindet.

Die Medienzeit einen Vorschulkindes sollte insgesamt eine halbe Stunde täglich nicht überschreiten. Diese Zeiten sollten, mit Ausnahmen, auch noch für ein Grundschulkind gelten.


Es ist sicher sinnvoll, gerade bei heranwachsenden Kindern einige Vorkehrungen zu treffen, damit sich manche Seiten mit gefährlichen, belastenden Inhalten nicht öffnen lassen. Es ist auch möglich den Computer so einzurichten, dass das Kind nur auf festgelegte Seiten gelangen kann.

Ebenso gibt es Programme, die den Computer nach einer definierten Zeit ausschalten.

Wie bei vielen Themen ist auch beim Thema Medien viel Gespräch mit dem Kind notwendig.

Gerade auch ältere Kinder und Jugendliche brauchen klare Regeln

Es müssen klare Abmachungen aufgestellt werden. Das gilt insbesondere auch für ältere Kinder, die soziale Netzwerke besuchen und diese zunehmend auch als Kommunikationsmedium nutzen. Es muss vermittelt werden, wie ein ungefährlicher Umgang aussieht.


Einige Regeln Für das Chatten im Internet:

- misstrauisch sein

- keine persönlichen Daten preisgeben

- unangenehme Dialoge abbrechen

- niemals reale Treffen stattfinden lassen

- Eltern informieren

Eltern müssen vertrauensvolle Begleiter sein, die das Kind oder der/die Jugendliche mit ins Boot holt, wenn ihm/ihr etwas seltsam vorkommt oder Fragen auftauchen. Dazu ist es wichtig, dass sie das Kind als Gesprächspartner ernst nehmen.

Mediennutzung sollte nicht in Verbindung mit Belohnung oder Strafe gebracht werden, da auch dadurch der Stellenwert deutlich überhöht wird.


Es ist wahrscheinlich nicht möglich und sicher auch nicht sinnvoll unsere Kinder fern von den neuen Medien aufwachsen zu lassen. Vielmehr scheint es wichtig, die Zeit in der wir eine große Vorbildfunktion und einen großen Einfluss auf unsere Kinder haben dazu zu nutzen, ihnen einen verantwortungsvollen, altersentsprechenden Umgang zu vermitteln.

 
 
 

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