Kindheit zu Zeiten von Corona. Teil 2- Kinder von 0 bis 6 Jahren
- Dr. Jutta Weber

- 8. Juni 2022
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 9. Juni 2022
Babys und Kleinkinder erlebten Coronazeit und Lockdowns in vielen Bereichen anders als Schulkinder.
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Kleinkinder sind vor allem auf ihre Eltern bezogen
Erst zwischen dem 2. Und 3. Lebensjahr beginnt ein Kind, Freundschaften zu schließen. Bis zum 2. Geburtstag spielen Kinder vor allem nebeneinander her. Sie nehmen einander war, spielen aber noch nicht wirklich interaktiv.
Sie sind bis zu diesem Alter mehr auf Erwachsene bezogen, wissen um ihre Abhängigkeit von ihnen bezüglich Zuwendung, Ernährung, Schutz, Sicherheit und vor allem auch Empathie, also dem nonverbalen Erkennen ihres Befindens und ihrer Bedürfnisse.
Während der Lockdowns wurden
Freundinnen und Freunde aus der Kita von den Kleinen weniger vermisst, und die Eltern waren oft sogar mehr zuhause, als vorher. Die Bezogenheit auf die Eltern, auf genau diese zwei Personen, wurde deutlich verstärkt. Aus Kindersicht war damit erst einmal die Welt in bester Ordnung.
Kinder spüren Stimmungen sehr intensiv
Junge Kinder sind sehr empfänglich für Atmosphären. Sie spüren, wie die Stimmung ist und reagieren darauf.
Die Stimmung zu Hause war oft nicht gut.
Die Eltern mussten sich durch ihr Home- Office bei fehlender Betreuung der Kleinen wurschteln, gleichzeitig brauchten evtl. ältere Geschwister Unterstützung beim Homeschooling, manche Eltern fürchteten um ihren Job, verloren ihn, verdienten weniger durch Kurzarbeit. Nein, die Stimmung war nicht gut.
Laut einer Statistik des weißen Rings stieg die Anzahl häuslicher Gewalt nach den Lockdowns sprunghaft an. Allein 2020 stiegen die vom weißen Ring betreuten Fälle häuslicher Gewalt um 10%. Dies ist nur die Spitze des Eisbergs.
Es ist wichtig, sich zuzugestehen, dass man in diesen besonderen Zeiten nicht reibungslos funktionieren kann und muss
Wie die Coronazeit in Familien mit Kleinkindern ablief, hing sehr von den Ressourcen der Familien ab. Je größer die Verunsicherungen, die Ängste, vor allem auch die Wut der Eltern bezogen auf ihre Situation, umso weniger konnten sie den permanenten Anspruch ihrer Kinder nach Nähe und Versorgung aushalten.
Denn neben der direkten Auswirkung eines länger andauernden Missstandes, einer sorgenvollen Zeit, mit Niedergeschlagenheit, Ängsten, Wut, Schlafstörungen gibt es einen deutlichen indirekten Effekt:
Das was an Belastungen ausgehalten werden kann, scheint erreicht. Die Reizbarkeit steigt deutlich, die Frustrationsschwelle sinkt. Dinge und Menschen, die mit dem Missstand nichts zu tun haben, nerven, stören. Es bleibt keine Energie, um ein quengelndes Kind liebevoll zu beruhigen oder es entspannt immer wieder hinzulegen, wenn es abends zum x-ten Mal aufsteht.
Was kann man tun? Die Zeit mit Corona (nein, sie ist noch nicht vorbei) erfordert klare Absprachen, viel Gespräch überhaupt und eine genaue Planung.
Welcher Elternteil übernimmt wann welche Aufgaben? Gibt es eventuell Familien, mit denen man sich in der Betreuung der Kinder abwechseln kann? Wie kann sich eine Mutter oder ein Vater zwischendurch entspannen. Sich mit einer Freundin, einem Freund im Park zum Spazieren zu treffen, zu joggen oder für eine Stunde einfach irgendwo draußen auf einer Bank zu sitzen kann Wunder wirken.
Klären Sie ihren Arbeitgeber, ihre Arbeitgeberin über ihre häusliche Situation auf und bitten sie um Verständnis für eventuelle Verzögerungen, (das bringt nicht immer etwas, ist aber den Versuch wert), reden Sie mit ihrer Partnerin oder Ihrem Partner oder mit Freund*innen über Ihre Belastungen und Sorgen.
Vor allem aber: lassen Sie vor sich selbst fünf gerade sein.
Die Priorität kann in solchen Zeiten nicht auf der gewohnten Effektivität im Job liegen, und auch ausgeglichene Eltern geraten in solchen Zeiten aus der Fassung. Je mehr Sie sich aber diese Verhaltensweisen untersagen, sie sich selbst im Stillen vorwerfen, umso weniger kommen sie als das, was sie sind ans Tageslicht, nämlich als angemessene Reaktionen.
Sie werden stattdessen zu diffuser Wut und Frustration, die sich wiederum oft ungefiltert gegen die Kleinsten der Familie, die schwächsten Glieder in der Familienkette richtet.
Freundschaften wachsen bei kleinen Kindern erst langsam zu vertrauensvollen Beziehungen- dieser Prozess war und ist bei Corona schwierig
Was bis heute vor allem für Kinder von drei bis sechs Jahren problematisch ist:
Im Vergleich zu den Jüngeren brauchen und schätzen sie Freundschaften.
Monatelang hatten die meisten von ihnen während der Lockdowns ihre Freundinnen und Freunde nicht gesehen und standen mit ihnen nicht, wie die älteren über das Handy oder den Computer im Kontakt.
Bis heute gibt es keinen normalen Kindergartenalltag. Die Kinder dürfen zum Teil nur tageweise gebracht werden, wenn nicht beide Eltern arbeiten oder es gibt wochenlang nur eine Notgruppe. Die zarten Freundschaftspflänzchen können so nicht gut gedeihen. Im Kindergarten haben Freundschaften den wichtigen Aspekt, dass sie es dem Kind ermöglichen, die Trennung von den Eltern zu meistern. Das Kind erfährt, dass es die Möglichkeit hat, sich Menschen als Begleiter*innen an seine Seite zu stellen. In der momentanen Zeit des On/Off ist es sehr schwierig, verlässliche Kinderbeziehungen herzustellen und aufrecht zu erhalten, was die Kinder häufig verunsichert.
Außerdem brauchen gerade Kleinkinder eine einigermaßen geregelte Tagesstruktur, um sich sicher zu fühlen.
Davon konnte, neben den anderen Lebensbereichen, schon bezogen auf den Kindergarten in den letzten Jahren nicht die Rede sein.
Kinder können nicht verstehen, warum sie in die Kita müssen, wenn sie nicht wollen, dann wieder wollen und nicht dürfen.
Versuchen Sie, (komme was wolle), ihrem Kind den regelmäßigen Kontakt zu ein bis zwei nahen Freunden zu ermöglichen. Das wirkt sich positiv auf das Kind, aber auch auf die gesamte Familie aus.
Familien mit Baby fühlten sich oft weniger belastet
Für Babys war besonders, dass sie bis auf ihre Eltern teilweise über Monate und Jahre nahezu niemanden ohne Maske gesehen haben. Was mir diesbezüglich positiv in der Praxis auffiel: auch sehr kleine Babys lächeln nicht nur induziert durch sogenannte Spiegelneuronen zurück. Wenn man sie zugewandt und sanft anspricht und intensiv anschaut, lächeln sie auch, wenn man eine Maske trägt. Spannend.
Mit einem Baby ist in den meisten Fällen wenigstens ein Elternteil darauf eingestellt, sich vornehmlich um dieses zu kümmern, was die Situation während des Lockdowns oft einfacher machte, als es mit Kleinkindern war, deren Fremdbetreuung zum Alltag gehört.
Die Zeit mit Corona ist für uns alle eine große Herausforderung, in der unsere Kleinsten ihre ganz eigenen Erfahrungen machen und gemacht haben. Wir sollten versuchen, ihnen mit viel Verständnis dafür zu begegnen und ihnen mit so viel Entspanntheit und Zuversicht wie möglich zu begegnen.




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