Kleinkindzeit/ Vorschulzeit Teil 1- Mut, Selbstvertrauen und Elan
- Dr. Jutta Weber

- 7. Juli 2022
- 5 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 17. Juli 2022
Nach dem ersten Lebensjahr endet die Säuglingszeit.
Die Schritte in Richtung Autonomie sind nun groß und hochfrequent.
Das Kind ist nun ein Kleinkind und beginnt, mehr und mehr zu sprechen und seinen Bedürfnissen durch Worte Ausdruck zu verleihen.
Die Sprachentwicklung verläuft in einer weiten Spannbreite. Schon sehr früh sind Kinder dazu in der Lage, verschiedene Sprachen durch ihren unterschiedlichen Klang zu unterscheiden. Bereits im Säuglingsalter reagieren sie auf ihre Muttersprache intensiver als auf eine ihnen nicht vertraute Sprache.
Für die Sprachentwicklung ist es wichtig, das Kind von Anfang an viel und ausführlich direkt anzusprechen. Zugewandt und ohne "kindliche" Vereinfachungen sollte mit dem Kind geredet, Handlungen erklärt, einfach geplaudert werden. Dadurch entwickeln sich aktive Sprache und Sprachverständnis deutlich besser, als wenn es vor allem Zuhörer der Gespräche der anderen bleibt.
Zunehmend wird ab dem 2. Lebensjahr das gemeinsame Spiel mit anderen Kindern wichtig. Während Eltern sich im Spiel meist ganz auf die Bedürfnisse des Kindes einlassen, muss es im Spiel mit Gleichaltrigen lernen, sich auch auf die Wünsche des Gegenübers einzustellen, was oft in „Rangkämpfen“ endet, die im frühen Kleinkindalter oft vor allem körperlich ausgetragen werden. Dies ist völlig normal. Auch das sich empathische Einfühlen in die Gefühle des Gegenübers, muss erst noch erlernt werden. Das Kind hat noch nicht die Möglichkeit, sich zugunsten anderer von seinen eigenen Bedürfnissen zu distanzieren. Außerdem wohnt dem, was ein anderes Kind besitzt, ein ganz besonderer Reiz inne. Diese Faktoren führen zu einer Reihe teils körperlicher Auseinandersetzungen. Ein aufkommender Impuls kann in diesem Alter außerdem schlecht unterdrückt werden.
Gerade die 2- bis 3-jährigen proben Interaktion sehr direkt und oft körperlich, was am wenigsten folgenschwer mit Geschwistern möglich ist, denn diese können nicht dauerhaft aus der Beziehung aussteigen, welche Erfahrungen auch immer sie miteinander gemacht haben.
Der Lernprozess untereinander gelingt umso schneller, intensiver und nachhaltiger, je weniger er von Erwachsenen reglementiert, gecoacht und aktiv überwacht wird. Sicher ist es angebracht, ein Auge auf gerade kleine Kinder zu haben, dennoch sollte man sich weitestgehend mit Einmischungen, Bewertungen und Richtersprüchen zurückhalten.
Mit zunehmender Sprachfertigkeit, um das dritte Lebensjahr herum, hat das Kind dann die Möglichkeit, Konflikte verbal zu lösen und sich mit Worten abzugrenzen. Die körperlichen Auseinandersetzungen reduzieren sich deutlich.
Die motorischen Fähigkeiten nehmen ebenfalls rasant zu.
Mit den ersten Schritten kann sich das Kind aufrecht von der Mutter entfernen- eine erste Loslösung ist eingeleitet.
Das Kleinkindalter ist geprägt vom Versuch, so viel wie möglich alleine zu machen, selbstständig zu erproben. Es ist faszinierend mutig, dass Zweijährige alles alleine machen wollen (z.B. aus einer riesigen Flasche ein Wasserglas selber einschenken), obwohl die anderen um ihn herum die Dinge besser können. Es will es dennoch wieder und wieder versuchen.
Dieses Alter erfordert viel Raum, in dem das Kind sich ausprobieren darf, und tatsächlich sollte man es dabei unterstützen, die Dinge, die es sich alleine zutraut auch alleine versuchen zu lassen, um es so wenig, wie möglich zu entmutigen. Die Motivation in diesem Alter, Dinge zu erlernen, ist enorm groß und sehr faszinierend.
Das "Leuchten in den Augen der Eltern" (Kohut) und der Erfolg sind der Motor, sich diese hohe Motivation zu erhalten.

Im Kleinkindalter wird heute mehr als früher bereits viel soziale Kompetenz vom Kind verlangt. Während ein Kind dieses Alters sich früher ausschließlich in die Familie einfügen musste, hat es heute meist schon mit 2 Jahren, häufig noch früher, die drei Beziehungsfelder Familie, Kindergarten und Freunde. Dies erfordert vom Kind ein hohes Maß an Flexibilität, denn in allen drei Bereichen werden ganz andere Erwartungen gestellt. Es ist verständlich, wenn ein Kind nach 8 Stunden Kindergarten oder mehr zu Hause nicht mehr sonderlich belastbar ist.
Unsere Erwartungen an unsere Kinder sind deutlich gestiegen und steigen ständig weiter. Es ist wichtig, sich bewusst zu machen, dass dies oft nicht ohne Reaktionen bleibt. Das Verständnis dafür macht uns den Umgang mit dem Kind leichter.
Gerade in Bezug auf die Kleinkindzeit hat sich das Familienleben in den letzten Jahren enorm verändert:
Während bis zur Mitte der 90er Jahre die meisten Kinder mit 4, frühestens mit 3 Jahren in den Kindergarten gingen, ist es seit wenigen Jahren üblich, dass das Kind diesen ab 2 Jahren besucht, oft auch früher.
Wenn dies dem tatsächlichen Wunsch der Mutter bzw. der Eltern entspricht, ist dagegen nichts einzuwenden.
(Mutter verwende ich in diesem Text für die Hauptbetreuungsperson, damit kann also auch durchaus der Vater gemeint sein).
Ein Problem stellt aus meiner Sicht dar, dass politisch und gesellschaftlich gewollt, den Frauen, den Eltern allgemein, momentan vermittelt wird, dass sie so früh wie möglich wieder an den Arbeitsplatz zurückkehren sollten, um erfolgreich, glücklich und zufrieden zu sein.
Aus meiner Erfahrung heraus ist dies eine Mogelpackung.
Je kleiner Kinder sind, umso infektanfälliger sind sie. Ein einjähriges Hortkind hat reichlich Infekte, die in diesem Alter auch immer bedeuten, dass es in der Nacht schlecht schläft und unruhig ist.
Die Infekte verlaufen schwerwiegender, als zum Beispiel bei 3-jährigen Kindern.
Die Mutter, teilweise auch der Vater, schlafen also in den Nächten kaum, müssen aber über Tag, falls das Kind nicht so krank ist, dass es zuhause bleiben muss, wieder fit und tatkräftig am Arbeitsplatz erscheinen.
Hier kommen wir direkt zum nächsten Problem: im ersten Kindergartenjahr sind 10 bis 12 Infekte normal. Bei kleineren Kindern nimmt nicht unbedingt die Häufigkeit zu, durchaus aber die Intensität der Infekte und der damit verbundene gestörte Nachtschlaf.
Jedem Elternteil stehen pro Kind 10 Tage zu, an denen es zur Betreuung des kranken Kindes zuhause bleiben kann. Diese Rechnung geht nicht auf!
Viele Mütter oder Väter bringen ihr Kind mit schlechtem Gewissen halb krank in die Kita und tun sich selbst mit dem Einfordern der 10 Betreuungstage beim Arbeitgeber schwer.
Mit kleinen Kindern schleppen sie häufig ein permanent schlechtes Gewissen mit sich herum, nicht die Möglichkeit zu haben, das Kind in Ruhe gesund werden zu lassen, bevor es wieder in den Kindergarten geht. Die Großmutter als Betreuungsoption entfällt immer mehr, da auch sie bis zum 67. Lebensjahr berufstätig ist.
Die vielen Kitaplätze für unter 3- jährige müssen also in einen Kontext eingebettet werden, der das Ganze auch für Familien praktikabel macht. Das bedeutet, dass entweder die Möglichkeit zur Krankenpflege in den Kindergärten geschaffen werden müsste oder die Eltern mehr Betreuungstage pro Jahr bräuchten.
So, wie es jetzt läuft, sind viele Mütter, die sehr früh wieder in den Beruf einsteigen, oft schon nach wenigen Monaten an ihren körperlichen und psychischen Belastungsgrenzen angekommen und empfinden dies- und das ist fast das Schlimmste- als ihr persönliches Defizit. Da läuft etwas sehr krumm!
Meiner Meinung behindert es kaum eine Frau in ihrer Karriere, wenn sie, falls sie es möchte, drei Jahre mit ihrem Kind zuhause bleibt. Schneller als man denkt, ist man wieder in den Arbeitsprozess eingetaucht und hat dann noch -zig Jahre Zeit, produktiv und erfolgreich zu sein.
Die ein bis zwei Jahre, die auf die Gesamtheit des Arbeitslebens betrachtet kaum Bedeutung haben, sind für das kleine Kind und das Familienleben in dieser Zeit von großem Gewicht.
Es scheint ein großes Interesse daran zu bestehen, Frauen, die tatsächlich auch gerade mit kleinen Kindern oft große Multitasking- Talente sind, so früh wie möglich an der Steigerung des Bruttosozialproduktes teilhaben zu lassen.
Sie sind es gewohnt, gut zu koordinieren und schnellst möglich und effektiv ihren Job zu erledigen, um schnell und pünktlich das Kind von der Kita abzuholen.
Diese Mogelpackung sollten wir nicht unkritisch hinnehmen.
Wir können die physiologische Entwicklung unserer Kinder nicht unseren oder gesellschaftlichen Entwicklungen anpassen. Die immunologische Entwicklung des Kindes, also seine Möglichkeit, Krankheiten abzuwehren, wird sich nicht verändern. Wir müssen die Bedingungen schaffen, die sich an diese Entwicklung anpassen, denn natürlich gibt es in vielen Familien die finanzielle Notwendigkeit, dass beide Eltern recht bald wieder arbeiten.
Jedes Paar sollte sich frei fühlen, ihr Arbeits- und Familienleben so zu gestalten, wie es dies ganz individuell für sich beschließt und sich dabei mehr an seinen persönlichen Prioritäten als an dem gesellschaftlichen Klima orientieren.



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