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Die Pubertät- das kreative Chaos

  • Autorenbild: Dr. Jutta Weber
    Dr. Jutta Weber
  • 10. Sept. 2022
  • 7 Min. Lesezeit


Pubertät und Adoleszenz sind spannende Lebensphasen, in denen unseren Kindern und damit auch uns, vielfältige und einschneidende Veränderungen bevorstehen.

Viele Eltern und Lehrkräfte fürchten diese wilden, vermeintlich unberechenbaren Jahre. In vielen Bereichen ist die Pubertät jedoch deutlich besser als ihr Ruf.

Letztendlich ist diese Zeit so individuell in ihrem Verlauf wie Menschen eben sind.

Es sind vor allem die Veränderungen in der Beziehung, die vielen Eltern primär zu schaffen machen.

Plötzlich treten deutlich mehr Streitpunkte auf, das Kind distanziert sich, ist in vielem komplett anderer Meinung, findet gemeinsame Unternehmungen langweilig, die Eltern spießig oder peinlich, verändert seinen Kleidungsstil, hält sich weniger an Abmachungen, wird unordentlicher oder unstrukturierter, entwächst also in vielem dem, was den Eltern bisher an ihrem Kind vertraut war.

Das Kind bzw. die/der Jugendliche ist auf der Suche nach einer neuen, unabhängigeren Beziehung zu seinen Eltern. Sie oder er versucht, diese als Weggefährten zu behalten, aber in deutlich größerer Distanz als bisher, mit deutlich weniger Kontrollmöglichkeit.

Dabei ist für Jugendliche meist nur die selbstgemachte Erfahrung von Wert und lässt sich nicht durch Erzählungen bzw. Warnungen der Eltern vorwegnehmen.

Je aufgeregter die Eltern auf die Veränderungen ihrer Kinder reagieren, desto heftiger verläuft oft die Ablösung.

Die Nähe oder Distanz zu den Eltern bestimmen dabei vor allem die Jugendlichen. Dabei gibt es oft schnelle Wechsel. Hat er oder sie sich gerade noch nachdrücklich oder lautstark gegen eine Einmischung und Bevormundung gewährt, so kann direkt darauf durchaus eine hefige Umarmung und Annäherung folgen.

Als Eltern bleibt man dabei so manches Mal verwirrt zurück.

Für uns ist es aber auch auf eine einzigartige Weise belebend, mit Kindern und Jugendlichen in dieser aufregenden, sehr lebendigen Zeit zusammenzuleben.

Sie sind ein kritisches Gegenüber, bringen viel neuen Input und erfordern komplexes, neues Denken und Argumentieren.

Sie bringen Menschen mit, mit denen wir sonst nicht in Kontakt gekommen wären, verändern die Atmosphäre im Haus. Wenn man sich auf diese Veränderungen einlässt, können sie viel Genuss bedeuten und sehr bereichernd sein.

Das eigene Zuhause sollte für unsere jugendlichen Kinder und ihre Freunde offen stehen- unter den Regeln, die das Leben in der Familie für alle Familienmitglieder angenehm sein lassen. Auch die Eltern und Geschwister brauchen ihren Raum und ihre Rückzugsmöglichkeit, aber wenn Freundinnen und Freunde mitgebracht werden können, bleibt die Verbindung deutlich enger.

Bei allem Wunsch nach Unabhängigkeit ist in kaum einer Lebensphase die Verfügbarkeit der Eltern im „Fall der Fälle“ so wichtig.

Dieser große Spagat zwischen dem Wunsch nach Autonomie einerseits und einer weiterhin bestehenden emotionalen Nähe zu den Eltern andererseits stellt für die Heranwachsenden eine wesentliche Aufgabe in dieser Lebensphase dar.

Gerade in den letzten Jahren wird auf diese Entwicklungsphase, auch bedingt durch die moderne Hirnforschung in veränderter Art und Weise geblickt.

Durch die vielen körperlichen und hormonellen Veränderungen und die veränderte Wahrnehmung des Alltäglichen, des anderen Geschlechtes, der eigenen Person, der Welt an sich, auch bezogen auf Religion und Politik, kommt es bei Jugendlichen oft zu einer verminderten Selbstsicherheit. Sie hinterfragen sich in ihrem Können, in ihrer Position im Freundeskreis.

Zusätzlichen führen die hirnorganischen Veränderungen tatsächlich zu einer Veränderung der Denkprozesse. Viele hemmende Mechanismen, die vorsichtiges, bedachtes Verhalten zur Folge hätten, fallen weg und führen zu risikofreudigem, spontanem, oft unbedachtem Verhalten. Die fehlende Impulskontrolle erinnert manchmal an das Verhalten deutlich jüngerer Kinder.

Viele dieser Verhaltens- und Handlungsweisen, die für Eltern und Kinder oft gleichermaßen aufreibend sein können, haben ihren Sinn und auch viele durchaus positive Seiten:

Der oder die Jugendliche ist beweglich, mutig und kreativ, wagt den Konflikt mit den Eltern, obwohl er oder sie um deren Wichtigkeit weiß. Die Eltern können das Kind bzw. die Jugendliche oder den Jugendlichen mehr und mehr als Gesprächspartner auf Augenhöhe akzeptieren. Jugendliche probieren eigene Wege, schließen sich, auch zur Erleichterung der Ablösung von den Eltern, Gleichaltrigen enger an und üben so, mit geschütztem familiärem Hintergrund, wichtige soziale Kompetenzen.


Ein Ziel von uns Eltern ist es, unsere Kinder als selbstständige, sozial kompetente Menschen in ihr unabhängiges Leben zu begleiten. Die in der Pubertät vollzogene Ablösung ist dafür ein, wenn auch oft anstrengender so doch entscheidender Schritt.

Ab einem Alter- irgendwann zwischen 12 und 15- sind Jugendliche oft entweder unterwegs oder in ihrem Zimmer und antworten auf Fragen eher einsilbig. An gemeinsamen Unternehmungen oder selbst an gemeinsamen Mahlzeiten sind sie nicht interessiert und lassen sich selten dazu überreden. Als Eltern sollten wir „Kurs bewahren“. Gemeinsame Mahlzeiten bleiben wichtig. Auch, wenn nicht immer viel oder tiefgehend geredet wird, stellt das Zusammensitzen am Tisch doch eine Möglichkeit dar, ins Gespräch zu kommen.

Auch gemeinsame Aktivitäten sollten, wenn möglich stattfinden und sich an den Interessen der Jugendlichen orientieren. Interessanter als ein Spaziergang im Wald ist sicherlich ein Kinobesuch oder ein Eishockeyspiel.

Die Art der Kommunikation ändert sich im Laufe der Entwicklung eines Kindes deutlich. Dem kleinen Kind ist die Nähe zu den Eltern wichtig, und es ist meist bereit und erfreut darüber mit den Eltern viel Zeit zu verbringen und die Fragen der Eltern zu beantworten. Jugendliche fühlen sich von Fragen der Eltern ausgehorcht. Von persönlichen Fragen fühlen sie sich oft bedrängt. Sie können darauf nicht selbstständig agieren, sondern nur reagieren. Oft ist sie/er nicht bereit, die Nähe zuzulassen, die das offene Beantworten der Frage herstellen würde, also erfolgt die Antwort einsilbig oder abwehrend patzig.

Die angebrachtere Kommunikationsform ist daher das Gespräch. Indem man von sich erzählt, fühlt sich die/der Jugendliche ernst genommen und hat gleichzeitig die Möglichkeit, auch von sich zu erzählen oder eben nicht. In einem Gespräch muss die/der Jugendliche nichts aktiv abwehren. Sie/er kann jederzeit ein- oder aussteigen, selber erzählen oder einfach zuhören.

Mit jugendlichen Kindern ist es wichtig loszulassen.

Sie müssen die Möglichkeit haben, sich ohne schlechtes Gewissen lösen zu können. Das bedeutet, dass es wichtig ist, auch mit Ablehnungen oder Absagen von Seiten des Jugendlichen souverän umzugehen und nicht gekränkt zu reagieren.

Je erwartungsfreier die Beziehung von Seiten der Eltern läuft, desto bereitwilliger kann sich das Kind bei Bedarf annähern.

Gerade, wenn die Beziehung zum heranwachsenden Kind problematisch erscheint, ist es oft sinnvoll, die leichte, eventuell sogar komische Seite des Ganzen zu suchen, sich also in eine gewisse Distanz zu einem festgefahrenen Konflikt zu stellen.

In belasteten Zeiten des Familienlebens sinkt die Toleranzschwelle aller deutlich. Ist schon einiges an Konflikten oder Missverständnissen vorgefallen, reichen oft Kleinigkeiten, um eine große Eskalation auszulösen.

Es hilft, sich die positiven Seiten des Kindes und der Beziehung zu ihm konkret zu vergegenwärtigen. So manches Problem verliert damit an Gewicht oder bekommt eine angemessene Relation.

Nicht selten durchläuft man mit Jugendlichen jedoch auch wirklich kritische Zeiten, in denen sich die Probleme nicht durch entspannteren Umgang allein lösen lassen, weil es sich nicht um Kleinigkeiten, sondern um ernstere Probleme handelt.

Wenn Jugendliche innerhalb eines oder mehrerer seiner Lebensbereiche, also Familie, Freunde Schule, ernsthafte Probleme zeigen oder ihr Befinden den Alltag bzw. dessen Bewältigung massiv erschwert, ist es nötig, nach Wegen aus der Krise zu suchen.

Der erste wichtige Schritt ist sicher, Situationen zu schaffen, in denen man Zugang zum Kind erhalten kann und man in ruhiger Atmosphäre gemeinsam Zeit verbringt. Dies ist umso einfacher, je tragfähiger die Beziehung ist und je weniger lange die kritische Zeit bereits andauert.

Auch, wenn das Kind zu gemeinsamen Gesprächen nicht bereit ist, ergeben sich selbst bei vermeintlich unbefriedigender Interaktion, nahe Momente, die man bewusst gemeinsam durchleben und auch als Eltern als solche wahrnehmen sollte. Auch in noch so kritischen Zeiten ergeben sich zugewandte, liebevolle Momente, die die Problemfokusierung reduzieren.

Wichtig ist also das Schaffen kleiner, unbelasteter Inseln, Auszeiten für alle, in denen es für wie lange auch immer, kein Problem gibt.

Als zweites sind ein offener Umgang mit den Schwierigkeiten und eingehende Gespräche mit dem Partner und guten Freunden wichtig. Dies bringt oft die Distanz zum Problem, die notwendig ist, um wieder etwas klarer zu sehen und aus der uneffektiven Verstrickung herauszutreten.

Zusätzlich kann man von den Erfahrungen der Freunde, sowie von ihrer Einschätzung der Situation und der Entwicklung der Kinder, gerade, wenn sie der Familie nahestehen, profitieren.

Zum offenen Umgang gehört sicher auch, sich bei ernsthaften Nöten und Schwierigkeiten professionelle Hilfe zu holen. Oft tut es sehr gut, einen Teil der Verantwortung an einen Therapeuten abzugeben. Probleme in der Schule sollten offen mit Lehrerinnen und Lehrern besprochen werden, wobei es hilfreich ist, diese mit ins Boot zu holen und sie nicht durch Vorwürfe oder Vorhaltungen in eine Opposition zu setzen. Kritik ist wichtig, sollte aber in jedem Fall sachlich und zielorientiert sein.

Stellt man sich hinter sein Kind und macht seine Situation für den Lehrer transparenter, vermittelt dem Lehrer aber gleichzeitig, dass es gemeinsam mit ihm ein Problem zu lösen gilt, lässt sich viel bewegen- deutlich mehr, als wenn eine Lehrerin oder ein Lehrer sich gegen die Angriffe der Eltern zu Wehr setzen muss und sich zwei konkurrierende Gesprächspartner gegenübersitzen, die keinen Konsens finden.



Wenn einzelne Situationen aus dem Ruder laufen, das Kind zum Beispiel stark alkoholisiert nach Hause kommt oder beim Klauen erwischt wurde, ist zwar einerseits eine klare Positionierung von Seiten der Eltern wichtig, mit übermäßigen Vorhaltungen sollte man sich aber zurückhalten.

Leidet der Sohn oder die Tochter körperlich unter den Folgen des übermäßigen Alkoholkonsums, braucht man als Eltern erst einmal gar nichts zu sagen, da in diesem Moment die Versorgung des Kindes im Vordergrund stehen sollte.

Zu einem späteren Zeitpunkt ist sicher ein ruhiges Gespräch, in dem man sich die Hintergründe erklären lässt und auch die eigenen Ängste und Befürchtungen erläutert, sinnvoll. das Wichtigste ist, sich das Vertrauen unseres Kindes zu behalten. Es soll wissen, dass es auch in kritischen Lebensphasen auf uns zählen kann, auch, wenn wir sein Verhalten nicht gut heißen.

In nahezu allen schwierigen Situationen, die im Leben mit unseren Kindern auftreten, ist es für diese wichtig zu spüren, dass wir zwar emotional nah bei ihnen sind, uns aber nicht von ihren Problemen aus unserer Mitte, unserem Leben werfen lassen.

Eine Möglichkeit des Umgangs mit heiklen Themen, mit Grenzüberschreitungen wäre, von eigenen Erlebnissen in Umgang mit Alkohol oder Zigaretten, Diebstahl oder Blaumachen in der Schule o.ä. zu berichten, um dem Jugendlichen zu vergegenwärtigen, dass man ein gewisses Verständnis für die Situation aufbringt. Gleichzeitig sollte die eigene gegenwärtige Haltung klar zum Ausdruck gebracht werden. Meistens ist diese allerdings unseren heranwachenden Kindern sowieso bekannt. Unsere Erfahrungsberichte hingegen sind oft eine Überraschung, die durchaus auch Nähe schaffen kann.

Auch, wenn es uns schwerfällt, es zu akzeptieren: Jeder Jugendliche wird irgendwann mit den Themen Alkohol, Zigaretten und Drogen konfrontiert.

Er wird abwägen ob und in welchem Maße er was ausprobiert.

Wie die Entscheidung ausfällt, hängt von vielen Faktoren ab.

Vorbilder sind sowohl wir Eltern und unser Umgang mit Alkohol, Zigaretten und anderen Drogen, als auch in zunehmendem Maße die Freunde.

Ist es dort zum Beispiel normal, große Mengen Alkohol zu konsumieren, ist es für Jugendliche schwieriger, sich abzugrenzen und zu entziehen ohne Sorge zu haben, sich dadurch zum Außenseiter der Gruppe zu machen.

Zusätzlich ist entscheidend, wie risikofreudig ein Heranwachsender ist.

Eine ausführliche, wenig moralisierende Aufklärung durch die Eltern, sowie Informationsveranstaltungen zu Alkohol- und Drogenprävention können für die Gefahren sensibilisieren.

Die Pubertät und Adoleszenz, der Weg zum eigenständigen Erwachsenen ist lang und endet oft erst mit Mitte zwanzig.

Wir Eltern nehmen dabei zwar eine neue Position ein, bleiben aber ein wichtiger Bezugspunkt.


 
 
 

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